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Ein vergessenes Massaker

Bei unserem Abschiedsessen mit der nordkoreanisch-deutschen Freundschaftsgesellschaft im Oktober 2006 machte unser junger Übersetzer, der in der Schweiz erzogen war und aus guter, der Partei wohl gesonnener Familie stammt, eine Bemerkung zum deutschen Historikerstreit. Er studierte an der Kim-Il-Sung-Universität in Pyongyang Geschichte und wollte mit seiner Bemerkung die Fragwürdigkeit von Geschichtsbildern ansprechen, die nicht von den Besiegten, sondern von den Historikern der Sieger entworfen und festgeschrieben werden.

Die Bemerkung fand ein erstaunliches Echo bei Frau H., der ranghöchsten Person auf nordkoreanischer Seite: sie begann eine Suade von Schimpf und Schande über die US-Amerikaner, die im Herbst 1950 – vor 60 Jahren – unermeßliches Leid über die koreanische Bevölkerung gebracht hätten. Tausende unschuldiger Frauen und Kinder mußten die Gruben ausgraben, in denen sie dann erschossen und niedergemetzelt wurden, sie hätten sie in unterirdische Bunker getrieben, wo sie tagelang ohne Wasser und Nahrung eingesperrt waren dicht an dicht, dann habe man Benzin aus US-Kanistern in die Bunkerlöcher gegossen, das die Verdurstenden gierig als Flüssigkeit tranken, dann habe man Feuer gelegt und Tausende seien bei lebendigem Leibe verbrannt. Das sei der Holocaust am koreanischen Volk gewesen, und die Amerikaner würden bis heute nicht zugeben, daß sie für diesen Völkermord vor einem internationalen Gericht zur Rechenschaft gezogen werden müßten. Ja, das alles ist wahr, pflichtete ihr der zweithöchste Kulturfunktionär bei, dies sei alles dokumentiert im Museum von Sinchon, dem Ort in der Hwanghae Provinz, ca. 120 km südwestlich von Pyongyang, an dem sich vom 17.Oktober 1950 an dieses grauenhafte Verbrechen der US-Amerikaner an der dortigen Bevölkerung 51 Tage lang abgespielt habe.

Ich mußte gestehen, daß ich bislang noch nicht von dem Dokumentationszentrum in Sinchon gehört hatte, und äußerte den Wunsch, dieses Museum bei meinem nächsten Besuch in Nordkorea besuchen zu dürfen. Der nächste Besuch fand im April 2007 statt, zur Zeit des Frühlingsfestes, das alljährlich als Geburtstagsfest für den Großen Führer KIM Il-sung stattfindet. Tatsächlich hatte man in das übliche Standardprogramm, das seit vielen Jahren den ausländischen Gästen geboten wird, einen Tag für den Besuch in Sinchon eingebaut. Meine Frau und ich wurden vom Yangakkdo Hotel mit einer japanischen Limousine abgeholt, vorne saßen nur der Fahrer und unser ständiger Begleiter, der sehr gut Deutsch sprach. Das hatte er noch vor 1990 in Leipzig gelernt.
Es war ein trüber, regnerischer Tag, wir fuhren aus Pyongyang heraus Richtung Süden, die wie immer leere vierspurige Autobahn war teilweise von tiefen Regenpfützen blockiert, die der Fahrer routiniert mal über den Mittelstreifen mal auf der ganz rechten Seite umfuhr, und wenn es nicht anders ging, fuhr er mitten durch die Wasserlachen, dass es nur so spritzte.

Nach ca. 50 km bogen wir von der Autobahn ab in eine Landstraße. Es regnete immer noch in Strömen, die Fenster waren beschlagen, draußen ahnten wir schlammige, kahle Felder, ein paar Bäume, graue, im Regen versinkende Häuser.

Das Museum Sinchon hatte an dem Tag keine anderen Besucher. Unser Begleiter mußte sich auf die Suche nach den Personen machen, die schon längst über unseren Besuch verständigt waren. Schließlich kam er mit einer älteren Frau um die 75 im dunklen traditionellen langen Kleid, das Museumsführerinnen in Nordkorea zu tragen pflegen. Sie wurde uns vorgestellt als eine überlebende Augenzeugin, die das Massaker von Sinchon als junges Mädchen erlebt habe. Sie hatte einen Zeigestock in der Hand, und begann ihre Führung mit dem Zeigen auf eine Tafel, die wie überall in Nordkorea die Wahrheit verbürgen: ein Ausspruch des Parteivorsitzenden:

„ Engels nannte die britischen Truppen einst die barbarischsten von allen. Während des Zweiten Weltkriegs dann übertrafen die faschistischen Truppen der Deutschen die der Briten noch an Bestialität. Niemand vermochte sich bösere, schrecklichere Grausamkeiten vorstellen als die, welche die Hitlerbande begangen hatte. Die Yankees jedoch haben hier auf unserem Boden die Verbrecher Hitlers bei weitem übertroffen.“
Kim Il-Sung Vater und Kim Jong-Il Sohn haben das Museum Sinchon zweimal besucht und damit ein für alle Mal festgestellt, welche Untaten von den Amerikanern begangen wurden. Die Überlebende  wies mit ihrem Zeigestock Raum für Raum auf die kaum erkennbaren Schwarz-Weiß-Fotos, ihre koreanisch sprechende Stimme verdüstert und monoton vor Leid, das Unaussprechliche wurde von unserem Begleiter ins Deutsche übersetzt, sicher  nicht zum ersten Mal. Die Fotos wurden verdichtet durch gemalte Szenen: eine schwangere Koreanerin, die die US-Soldaten auf den Knien anflehte, sie nicht zu töten, wird kommentiert: sie töteten sie und rissen das ungeborene Kind aus ihrem Bauch.  Sie zeigte auch auf den Übeltäter schlechthin, den Teufel in Menschengestalt, den US-Major Harrison, der die Befehle durchführte, alle Koreaner zu töten, die der US-Armee beim Durchmarsch durch die südlichen Provinzen Nordkoreas im Weg standen. Die Tötungsmethoden wurden im Detail geschildert, Erschießen in der von den Opfern ausgehobenen Grube, unbarmherziges Niedermachen mit Äxten und Sicheln, Verbrennen in Bunkern mit US-Benzin aus US-Benzinkanistern.

Merkwürdige Methoden für ein US-Army-Korps: da wurden Bauern auf dem Reisfeld mit Sicheln niedergemacht, und ein nordkoreanischer Revolutionär wurde zwischen zwei Ochsengespannen in Stücke zerrissen. Sehr bäuerliche Methoden, wagte ich beim anschließenden Info-Gespräch zu bemerken. Mein Gegenüber, einer der ältesten Massaker-Überlebenden, saß in Parteiuniform auf der abgedunkelten Seite des Raums und ging auf meine Bemerkung nicht ein.

Ich wurde deutlicher: Sie kennen doch sicher den Schriftsteller Hwang Sok-Yong, der um 1990 hier in Sinchon war und recherchierte, was hier im Herbst 1950 geschehen ist.
Die Stimme des Überlebenden, übersetzt von unserem Begleiter, bestätigte: Jaja, da war ein Schriftsteller, der alles wissen wollte über das Massaker von Sinchon. Er war ein paar Wochen hier und hat alle Überlebenden befragt.

Ja, sagte ich zu meinem dunklen Gegenüber, und als Hwang Sok-Yong von Europa kommend wieder in Südkorea einreisen wollte, wurde er verhaftet, weil er sich ohne südkoreanische Erlaubnis in Nordkorea aufgehalten hatte. Er mußte dafür ins Gefängnis und hat ein Buch über die Ereignisse in Sinchon geschrieben, das auch ins Deutsche übersetzt ist. Ich habe es gelesen: „Der Gast“ von HWANG Sok-Yong. Er hat das Massaker von Sinchon als Roman dargestellt, ein Roman, der von der Erinnerung von zwei Brüdern handelt, die aus der Gegend von Sinchon stammten, nach den Ereignissen in den USA Presbyter geworden sind, und, inzwischen alt geworden, beschließen, noch einmal in ihre verlorene Heimatprovinz nach Nordkorea zu reisen. Yohan, der ältere Bruder, stirbt drei Tage vor Beginn der Reise, aber Yosop, der jüngere, fliegt nach Nordkorea und begegnet in seiner alten Heimat den Museumsverwaltern, aber auch den Geistern der Opfer und der Täter von 1950. Auch der verstorbene Bruder Yohan kommt in diesen Begegnungen und Gesprächen mit den Geistern als Täter vor, und es entsteht ein dichtes Netz von erinnerten Szenen, in denen das Unheil von damals wieder aufersteht.

Hwang Sok-Yong erwähnt beiläufig, daß die US-Armee-Einheit mit Major Harrison eigentlich nur zwei Stunden auf dem Durchmarsch nach Pyongyang in Sinchon verweilte. Das 51 Tage lang dauernde Massaker konnte also nicht den US-Amerikanern angelastet werden, es war ein Rache-Feldzug von jungen, christlich orientierten Koreanern, die noch nicht zur Armee eingezogen worden waren, an den Linken und Kommunisten, die sich im Jahr 1949 enteignet und ihres angestammten Vermögens beraubt sahen. Es war ein blutiger und grausamer Bürgerkrieg zwischen linken und rechten Koreanern, der über die Leichen der Zivilbevölkerung ging.

Mein dunkles Gegenüber reagierte schroff und sagte: Hwang Sok-Yong ist ein Lügner, wenn er so etwas schreibt! Wir waren dabei, und wir sind doch lebende Augenzeugen des Massakers, das die US-Imperialisten unter der grausamen Führung des Teufels Harrison angerichtet haben. Das kann nicht anders sein.
Anschließend gingen wir noch zu einem Grabhügel für die Opfer des Massakers von Sinchon, der den Königsgräbern von Shilla ähnelt. Vorher betraten wir den Bunker, in dem sich die verbrennenden koreanischen Frauen und Kinder mit den Leichen der Verbrannten zu schützen versuchten, und betrachteten schweigend die Kratzspuren, die die verzweifelten Menschen in ihrer Todesangst im verrußten Gemäuer hinterlassen hatten.
Am sonst leeren Kiosk vor dem Grabhügel kauften wir nach dem zarten Hinweis unseres Begleiters zwei Bund Blumen aus Plastik für je zwei Euro, die wir an dem Grabhügel der Opfer des Massakers von Sinchon mit einer Schweigeminute niederlegten.

Wir waren noch nicht an der Limousine, die uns nach Pyongyang zurückbringen sollte, als der Kiosk-Betreiber mit den Blumen, die wir gerade am Grabhügel niedergelegt hatten, zurück zu seinem Kiosk ging, und die Fensterläden herunterließ. Die vier Euro Tageseinnahme hat er sicherlich in Pyongyang abgeliefert.

Über hptink

Leiter Goethe-Institut Seoul 2005 -2008. Dabei zuständig für den Lesesaal des Goethe-Instituts in Pyongyang.

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Photo: Lisa Keil

Photo: Lisa Keil

Im April 2007 war ich in der Gedenkstätte für Kim Il-sung in Pyongyang. Anschließend stand plötzlich eine Radioreporterin mit einem Mikrofon vor mir und fragte mich nach meinen Eindrücken. [weiter lesen]

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