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Bandi: Denunziation

BANDI ist ein koreanisches Wort und bedeutet auf Deutsch „GLÜHWÜRMCHEN“.
Es ist das Pseudonym eines Autors, der heute noch Mitglied im nordkoreanischen Schriftstellerverband sein soll. Bisher kannte man eigentlich nur einen Großschriftsteller in Nordkorea, der fast alle dort veröffentlichen Bücher verfaßt hat, die sofort auch in zahlreiche Fremdsprachen übersetzt wurden: das war der 2011 verstorbene Führer KIM Jong-il, Sohn des Ewigen Präsidenten KIM Il-sung und Vater des jetzigen Machthabers KIM Jong-un. Neben diesen Namen nimmt sich Bandi aus wie ein Autor, auf den die Welt schon lange gewartet hat. Ein Glühwürmchen, das mit seinem Licht der Erzählungen in ein Land leuchtet, das seit 1948 ideologisch abgeschottet in einer selbst verordneten Dunkelzone lebt.

Im Vorwort von Thomas Reichert, Leiter des ZDF-Studios Ostasien, wird berichtet, daß das Original-Manuskript über Verwandte von Bandi und Herrn Do Hee-Yoon
von der Hilfsorganisation für Flüchtlinge aus Nordkorea 2014 nach Südkorea gekommen ist. Es war auf Papier/Karton geschrieben, das in den 90er Jahren in
Nordkorea erhältlich war.

Die Herausgeber und Verlage erklären, dass die Identität des Verfassers geheimgehalten wurde, um ihn nicht zu gefährden, er lebe immer noch in Nordkorea.
Deshalb seien auch alle Namen und Orts- und Zeitangaben in dem Original-Manuskript verändert worden, um den nordkoreanischen Behörden keine Möglichkeit
zu geben, anhand der veröffentlichten Texte Rückschlüsse auf den Autor zu gewinnen, die ihn gefährden würden.

Dennoch gibt es in allen 7 Erzählungen konkret wirkende Namen, Orts- und Zeitangaben, am Ende jeder Erzählung steht ein Datum zwischen 1993 und 1995, also um die
Zeit als die Ära KIM Il-sung zu Ende ging. Er ist 1994 gestorben, das genaue Datum kann uns jedes nordkoreanische Schulkind auswendig sagen: am achten Juli.

In der ersten Erzählung „DIE STADT DER GESPENSTER“ wohnt Frau Han Kyeong-hui mit ihrem 2jährigen Sohn Myeong-sik in einer Wohnung in der Südwest-
Ecke des zentral vor der Studienhalle des Volkes gelegenen Kim IL-sung – Platzes im Block 5 im fünften Stock – und verdunkelt ihre Fenster mit dunkelblauen
Übergardinen. Warum? Von dieser Wohnung sieht man direkt auf das riesige Bild von Karl Marx, bei dessen Anblick der zart besaitete Sohn von Frau Han sich sehr
fürchtet. Er hält ihn für einen Eobi, ein schreckliches Gespenst, und bricht jedes Mal in ein fürchterliches Geschrei aus, wenn er aus dem Fenster sieht. Die Mutter wird
angesprochen, warum sie am Nationalfeiertag die Vorhänge geschlossen hält, sie muss lügen, und die Erzählung nimmt kein gutes Ende.

Nach meiner Wahrnehmung vom Kim Il-sung- Platz stimmen in dieser Erzählung einige Formulierungen nicht ganz: „Fetzen von Plastiktüten“, „Neonbuchstaben auf
Bannern“ oder „es dröhnten die Motoren der unablässig startenden und landenden Flugzeuge“ – der Kim Il-sung Platz soll 1993 in der Einflugschneise des Flughafens
gelegen haben? Die Genauigkeit der Ortsangaben in dieser Erzählung erscheint mir konstruiert, als ob sie erst in den letzten 5 Jahren geschrieben worden wäre.

In der Erzählung „SCHATZPFERD“ hackt der Onkel die geliebte Ulme kurz und klein, Zeiten der Not in der Kälte, man muß mit nassen Sägespänen heizen.

In „DIE FLUCHT“ verhütet Frau IL-Cheol heimlich, um kein Kind von ihrem Mann zu bekommen, weil er als Deportierter geächtet ist und nach §149 als Feind der Partei
keine Zukunft hat. Damit hätte auch das Kind keine Zukunft. Aber sie spart ihren Reis für ihren Mann auf und kocht für sich etwas, was man nur Hundefutter nennen
kann.

In der Erzählung SO NAH UND DOCH SO FERN versucht der Mann von Jeongsuk, ohne Erlaubnis in sein Heimatdorf zu kommen, wo er seine Mutter in ihren
letzten Stunden begleiten will. Es gelingt ihm nicht, er wird festgenommen, kurz vor dem Heimatdorf. „Er kam sich vor wie eine Libelle, die der Spinne ins Netz
gegangen war“.

„PANDAEMONIUM“ stellt die heute noch üblichen grotesken Selbstdarstellungen der Führerspitze als Inkarnation des Volkes exemplarisch dar.
Wegen des Staatsereignisses Nr. 1 – einem Besuch von KIM Il-sung in ihrer Provinz – stecken die alte Frau Oh und ihre Familie in dem chaotisch überfüllten
Provinzbahnhof fest, seit 32 Stunden geht kein Zug, kein Bus, nichts. Opa erzählt seinen Enkeln eine Fabel von Äsop, auf etwas andere Weise: In dem großen Kürbis
Staat sitzen die Katzen (Spitzel) wie die Kerne und verfolgen alle Mäuse, das ist die gesamte Bevölkerung. Oma Oh beschließt, allein vom Bahnhof zu ihrem Dorf zu laufen, gerät bei dem langen Marsch auf die für den Führer und seine Entourage gesperrte Autobahn. Die Wagenkolonne hält plötzlich an, weil der Führer mit dem alten Mütterchen auf der leeren Autobahn sprechen möchte, natürlich umgeben von vielen Mikrofonen und Kameras.
„Er hatte seine Arme symmetrisch auf seinen stattlichen Bauch gelegt, so daß sie die Form eines kyrillischen PHI bildeten.“
Der Führer unterhält sich mit der alten Frau vor laufenden Kameras und gibt seinem Volk wieder eine Kostprobe seiner Güte und Volksverbundenheit. Im ganzen Land
wird dies in den Nachrichten gesendet, und Frau Ohs Familienangehörige müssen sich das immer noch wartend im vollgestopften Bahnhof anhören.
Die Erzählung kommt auf den Punkt, als die alte Frau Oh ein Märchen erzählt:
„Es war einmal ein Dorf, das von dreißig Meter hohen Hecken umgeben war. Darin lebte ein alter Zauberer, für den Millionen von Bediensteten arbeiteten. Das
Verwunderliche war, daß aus dem Dorf nur Gelächter nach außen drang. Die Leute lachten ununterbrochen und zu jeder Jahreszeit, da der alte Zauberer sie durch einen
Fluch zum Lachen zwang… Er hatte die hohen Hecken wachsen lassen, damit die Bewohner der umliegenden Dörfer nicht hineingehen und sehen konnten, was
wirklich passierte…Selbst wenn die Bediensteten des alten Zauberers vor Schmerz und Traurigkeit weinten, verwandelten sich ihre Schluchzer sofort in Lachen. Kann es
einen Zauberspruch geben, der grausamer ist? Und dieses Dorf, kann es einen Ort geben, der schrecklicher ist?“

Die Erzählung „DIE BÜHNE“ spielt in der Zeit der dreijährigen Staatstrauer nach dem Tod von KIM Il-sung. Herr Hong Yeong-Pyo, ein Beamter der Staatssicherheit,
der für die Kontrolle der Kombinate zuständig ist, hört die Rede des Parteivorsitzenden. Der spricht eine deutliche Warnung an Leute aus, die in der
Trauerzeit „trinken und flirten“. Herr Hong denkt sich erst nichts dabei. Erst später fällt ihm ein, daß er und seine Familie damit gemeint sein könnten. Er war neulich
mit der jungen Frau Kim Suk-i, der Freundin seines Sohnes, spazieren gegangen. Deren Vater sitzt im Straflager, weil er das Verbrechen begangen hatte, zu sagen, daß
der Sohn des verstorbenen Präsidenten schon zweimal verheiratet war. Herr Hong hat vergeblich versucht, das junge Paar auseinander zu bringen, sein eigener Sohn war
unehrenhaft aus dem Militärdienst entlassen worden, weil er am 38. Breitengrad Radiosendungen aus Südkorea gehört hatte.

Bei den Proben des Theaterstücks „Die große Kesselkutsche unserer Kompanie“ werden die müden und ausgehungerten Soldaten von einem Parteigenossen inspiziert.
Als der laut fragt: Seid Ihr müde?, brüllt die ganze Kompanie: Nein!!! Und als er fragt: Habt Ihr genug zu essen? brüllen alle: Ja!!!
Herrn Hong fällt noch etwas ein: neulich hat er eine Flasche Methylalkohol gekauft, als bewährtes Mittel gegen Schlangen. Wenn das falsch ausgelegt wurde…
Herr Hong geht pflichtgemäß zur Abendtrauerstunde. Es gibt einen Blackout, und die Scheinwerfer von 5 Autos beleuchten die Szene und das große Banner mit der
Aufschrift: WIR TRAUERN UM UNSEREN GROSSEN FÜHRER BIS SONNE UND MOND VERSCHWINDEN.

In der ersten Reihe der Trauernden sieht Herr Hong die Mutter von Suk-i, deren Mann im Straflager ist. Sie vergießt echte Tränen. Herr Hong ist zutiefst erschüttert.
Sie ist seit 45 Jahren gelernte Staatsschauspielerin.
Herr Hong Yeong-Pyo erschießt sich. Er ist Regisseur und Hauptdarsteller in dem Stück, in dem alle mitspielen müssen. Es heißt: „In die Haut eines anderen
schlüpfen“. Für ihn fällt der Vorhang zu früh.

In der Erzählung DER ROTE PILZ soll der Journalist HEO YUN-mo eine Geschichte über das „Backsteinhaus“ schreiben, es ist jetzt das Gebäude des
städtischen Parteikomitees. Er hat eine Schreibblockade und schreibt stattdessen einen Artikel über Sojafelder und seinen Freund In-sik. Eine Arbeit in offiziellem
Auftrag gelingt ihm nicht mehr.

Als Mitglied des nordkoreanischen Schriftstellerverbandes mußte sicher auch Bandi Texte in offiziellem Auftrag schreiben, Systemkonformes.
Die im Erzählband DENUNZIATION vorliegenden Texte geben einen ungeschminkten Einblick in das Leben der nordkoreanischen Bevölkerung in dem totalitären System, das sich seit den Zeiten von Kim Il-sung nicht verändert hat. Es ist erschreckend, daß sie bis heute aktuell geblieben sind.

 

Über hptink

Leiter Goethe-Institut Seoul 2005 -2008. Dabei zuständig für den Lesesaal des Goethe-Instituts in Pyongyang.

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Photo: Lisa Keil

Photo: Lisa Keil

Im April 2007 war ich in der Gedenkstätte für Kim Il-sung in Pyongyang. Anschließend stand plötzlich eine Radioreporterin mit einem Mikrofon vor mir und fragte mich nach meinen Eindrücken. [weiter lesen]

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